Sonntag, 19. Oktober 2014

Kapitel 4: Herbst in Minsk (oder auch: Was außerhalb der Arbeit passiert)


Da der letzte Eintrag sich ja hauptsächlich mit meiner Arbeit hier beschäftigt hat (und das ja nicht das einzige ist aus dem mein Leben hier besteht) wollte ich noch einen kleinen Einblick in meine Freizeit geben. Die besteht hier momentan noch zum Großteil aus den Versuchen Minsk zu erkunden und ein paar Touristenattraktionen abzuklappern. Ansonsten geht ein Großteil der Zeit auch für Alltagsgedöns drauf: Einkaufen, putzen, waschen, kochen... und ich versuche auch noch ein paar Mal die Woche laufen zu gehen, was ja auch eine gute Art und Weise ist seine Umgebung zu erkunden.
Es folgen jetzt also ein paar Impressionen der letzten Wochen!

So war ich neulich zum Beispiel mit einer anderen Freiwilligen aus Deutschland, der lieben Sophie, in der Nationalgalerie. Da wir etwas überpünktlich waren und das Museum noch nicht geöffnet hatte konnten wir noch ein bisschen für ganz authentische Touristenfotos posieren. Die Karte ist natürlich nur eine Requisite.




Das Museum an sich war auch sehr nett, ein wenig kleiner als gewohnt aber sehr liebevoll gestaltet.


 
Eine der Hauptstraßen in Minsk. Die Buslinie 100 fährt diese entlang, und als Tourist kann man mit ihr gut die Hauptattraktionen abklappern und gleichzeitig auch einen guten Teil von Minsk sehen.

  ПАШТАМТ - das Hauptpostamt in Minsk

Blick auf den Hauptbahnhof.

Der Blick vom Hauptbahnhof - das erste was man von Minsk sieht wenn man mit dem Zug einreist. 
(auch bekannt als das Tor zur Stadt)


Anstehen für eine "маршрутка" - Marschrutka, die Sammeltaxis mit denen man so ziemlich jeden Fleck in Minsk relativ schnell erreichen kann. Wenn man denn weiß welche Nummer wohin fährt. Und hinter das System bin ich noch nicht so wirklich gekommen, weswegen ich bis jetzt noch mit dem Busnetz und den zwei Metrolinien zufrieden bin.

Die blaue Linie mit der ich jeden Morgen zur Arbeit fahre. Die Namen der Stationen werden auf Belarussisch (ja, das ist eine eigene Sprache) und mit der Übersetzung angezeigt.



Das Regierungsgebäude am Unabhängigkeitsplatz.




 Falls wer sich noch an meinen kleinen Geschichts-/Architekturexkurs erinnert: das hier ist ein weiteres gutes Beispiel für den Fassadenprunk der versucht wurde in der Innenstadt durchzusetzen. 


Wobei das hier eher der Fassadenprunk ist, der sich durchgesetzt hat. 






 


(meine direkte Nachbarschaft)

Und außerdem....




 Eine recht gute Zusammenfassung meiner letzten Wochne: Tee, Minsk und der Versuch die Eindrücke (oder auch hier: die Teekanne) mit Papier und Bleistift zu verarbeiten.

Und nebenbei natürlich noch Russisch lernen und fremde Personen zeichnen.

Und sonst so?





Wie gesagt, durch mein joggen hab ich die Wälder rund um unser Viertel auch recht gut kennen gelernt, und gestern Morgen hab ich mich dazu entschlossen aufgrund des guten Wetters meine Kamera mitzunehmen. Und es war auch sehr schön, bis auf die Tatsache dass drei Pullover plus Schal, Mütze und Handschuhe definitiv nicht ausreichend als Schutz gegen den überraschend kalten Wind waren, weswegen ich nach einer Stunde mit schon langsam blau anlaufenden Lippen den Rückzug antreten musste. Ich hoffe ich konnte die Herbst Atmosphäre trotzdem wenigstens ein kleines bisschen einfangen. 






Es ist sehr schade, wie wenig die Menschen es hier teilweise interessiert, wie der Wald aussieht. Es liegt unglaublich viel Müll überall verteilt, leere Plastikflaschen (auf die es hier kein Pfand gibt...), Chipstüten, zerbrochene Glasflaschen, Zigarettenschachteln, oder eben Taschentücher.

 Oh, und noch eine andere Sache, die hier auch eher zweitrangig zu sein scheint. Zebrastreifen sind hier für die Autofahrer eher optional.




Selbstportrait - es war wirklich sehr sehr kalt!

 
 Das linke Foto entstand etwa Mitte September- der Unterschied den ein Monat machen kann!








Wobei ich definitiv noch hinzufügen muss, dass die Sonne zwar auch sehr oft in der letzten Zeit geschienen hat, aber natürlich nicht immer, wie das die Bilder vielleicht vermitteln mögen. Deswegen noch ein Bild von einem ganz durchschnittlichen Tag- ohne Sonne. Und ohne Prunkfassaden.



Und zum Abschluss noch... 



Rauchen ist hier im Treppenhaus übrigens verboten. Aber das ist genauso wie mit den Zebrastreifen: Eigentlich eher optional:






Und mit dieser Fülle an Bildern überlasse ich euch wieder eurem Alltag


- Annika

Kapitel 3: Die Arbeit







Es ist Herbst- und mittlerweile sind es schon 42 Tage, die ich hier in Minsk verbracht habe, und auch wenn es ein Klischee ist komme ich nicht umhin mich zu fragen wo genau die Zeit eigentlich geblieben ist. Mir kommt es definitiv nicht vor wie über ein Monat, und doch merke ich schon wie sich in einigen Dingen so langsam der Alltag einschleicht. Und definitiv merke ich ich, wie die Tage kürzer werden und die Temperaturen zu sinken beginnen. Natürlich noch nichts dramatisches (von -30° sind wir hoffentlich noch ein paar Monate verschont!) und solange die Sonne scheint ist es auch noch gut ertragbar, aber gnade dir Gott wenn du im Morgengrauen oder in der Dämmerung unterwegs bist und nicht mindestens 3 Lagen Kleidung trägst- das ist jedenfalls meine Erfahrung. Und das folgende Foto nur als kleinen Beweis.



Meine Mitbewohnerin war so lieb und hat mir einige Second Hand Läden in der Umgebung gezeigt, damit ich mich vorsorglich noch mir ein paar mehr warmen Pullovern etc. eindecken kann. Die Preise für Kleidung in den staatlichen Kaufhäusern sind enorm hoch, und soweit ich das mitbekommen habe bestellen die Meisten im Internet oder kaufen eben Second Hand.
Das nur aber so nebenbei.

Zurück zum Thema


Wie versprochen werde ich in diesem Eintrag ein wenig über meine Arbeit hier erzählen, die sich in zwei Teile gliedert.

Zum einen arbeite ich in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und helfe dort den angestellten Pädagogen mit der Betreuung und bastle selbst mit. Die Pädagogen haben soweit ich das mitbekommen habe sehr flexible Arbeitszeiten, so sind manchmal alle sechs auf einmal oder auch nur einer da. Die Werkstatt finanziert sich über den Verkauf von einer Bandbreite an verschiedenen Handarbeiten, so zB. haben wir die letzte Woche über kleine Nadelkissen in der Form von Hüten hergestellt.



Ansonsten werden auch Karten für Geburtstage oder andere Anlässe gedruckt bzw bestickt (was durchaus einiges an technischem Geschick fordert- ich hab ein paar Versuche gebraucht bis ich es geschafft habe die Rosen einigermaßen gleichmäßig hinzubekommen).



 



 Was mich wirklich beeindruckt hat, ist der Einfallsreichtum der Pädagogen. Von Nadelkissen zu Glückwunschkarten über Broschen und Statuen oder anderen Kleinigkeiten können die eigentlich alles aus recht simplen Materialien zaubern. 


Der Weg bis zum fertigen Produkt wird dabei in Unterschritte eingeteilt, die von verschiedenen Teilnehmern übernommen werden, je nach Schwierigkeitsgrad.

(Das hier ist zum Beispiel der Beginn der Nadelkissen - Stoffreste und Watte und Pappe)

 Es gibt Teilnehmer die wunderbar sticken und Nähen können aber mit der Heißklebepistole ihre Schwierigkeiten haben, oder auch umgekehrt. Die Teilnehmer sind halt alle sehr verschieden und es wird darauf geachtet jedem nach seinem individuellen Können mit in den Arbeitsprozess zu involvieren. 
Mir macht die Arbeit in der Werkstatt bisher sehr viel Spaß, was vor allem an der Atmosphäre und den Menschen liegt. Ich wurde unglaublich offen und herzlich mit eingeschlossen und trotz der Sprachbarriere verstehe ich mich mit den Meisten ganz wunderbar. Die Arbeit an sich kann sich nur teilweise etwas hinziehen und etwas repetitiv werden. 

In der Werkstatt bin ich jeweils Dienstag und Donnerstag, an den anderen Tagen bin ich bei dem Sohn von Natalia, der Chefin der Werkstatt. Ihr Sohn ist Mitte 30 und hat eine autistische Behinderung, wegen der er seit 6 Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen hat und wenig selbstständig macht. Ich bin dafür zuständig dass er isst/trinkt und wenn er mag auch mit ihm lese bzw. mich mit ihm beschäftige. Dabei kommt es aber immer auf seine Tagesverfassung an, manchmal schweigen wir uns auch einfach nur an. Spaß macht ihm aber meistens sein Buchstabenbuch durchzugehen, was mir mit meinen rudimentärem Russisch auch gut tut. Das Buch selbst ist ein kleines bisschen älter und noch aus Sowjetzeiten (wie unschwer zu erkennen). 



Wenn das Wetter gut ist bin ich an einigen Tagen auch noch bei einem anderen Jungen, der in dem selben Wohnungskomplex wie Natalia wohnt und der mit einer sehr starken Behinderung im Rollstuhl sitzt. Mit ihm gehe ich dann eine Stunde in der Nachbarschaft spazieren, wobei mir sehr stark aufgefallen ist wie wenig Behindertengerecht die Stadt doch ist und wie wenig tolerant die Bevölkerung sein kann. Die Blicke, die uns beiden verstohlen zugeworfen werden (denn es gilt bloß Augenkontakt zu vermeiden!) sind meistens eine Mischung aus Mitleid, Unverständnis und Ärger darüber, mit einem Menschen mit Behinderung konfrontiert zu werden. Sehr schade. 

Aber gut. Soviel dazu! Ich bin recht zufrieden mit meiner Arbeit, bin aber auch gespannt was sich in den nächsten Monaten noch ergeben wird, bzw was sich mit meinen wachsenden Russisch Kenntnissen alles verändern wird. 


Und zum Abschluss gibt es wieder ein paar Bilder vom herbstlichen Minsk und Sonnenuntergängen. Schließlich kann es davon nie genug geben, oder?







Bis zum nächsten Mal,

- Annika



Sonntag, 21. September 2014

Intermezzo - Oder auch: und warum genau musste es nun Belarus sein?


Auch wenn ich gegen Ende meines letzten Posts eigentlich angedeutet hatte, dass mein nächster Eintrag sich wohl mit meiner Arbeitsstelle beschäftigen würde, habe ich mich dazu entschlossen damit doch noch länger zu warten – einfach um mehr Eindrücke zu sammeln, die ich dann in einer angebrachten und strukturierteren Weise weitergeben kann. Soviel sei aber schon einmal vorweg gesagt: Bisher macht es mir sehr viel spaß!

Vorerst aber zurück zu einem anderen Thema, und einer Frage mit der ich in den letzten Monaten häufiger konfrontiert wurde, und zwar der großen Frage nach dem Warum.

Und um die zu beantworten fange ich am Besten einfach ganz am Anfang an- mit meiner Bewerbung. (Es folgt wieder die ausführliche Version, alle schnell gelangweilten können für eine deutlich kürzere Fassung wieder bis zum letzten Paragraphen vorscrollen)

Gegen Anfang des 3. Semesters der Oberstufe (also der 12. Klasse, dem letzten Schuljahr, wie auch immer man es nennen mag) beginnt normalerweise für die meisten Schüler die Zeit, in der von ihnen erwartet wird, sich ernsthaft mit der Frage „Und was willst du nach der Schule machen?“ auseinanderzusetzen, und am Besten auch schon gleich eine Antwort mit Stellenangebot und Bewerbung plus Lebenslauf parat zu haben. Für mich befand sich diese Antwort aber trotz unzähliger Infoveranstaltungen und Messen und Berufsberatungen immer noch in einem Buch mit Sieben Siegeln, und mit der Zeit kristallisierten sich eher die Dinge heraus, die ich auf gar keinen Fall direkt nach der Schule machen wollte – so zum Beispiel studieren. Über ein paar Umwege und subtile Hinweise aus familiären Kreisen fing ich dann letzten Endes an, mich mit der Idee eines sozialen Freiwilligendienstes zu beschäftigen- das Konzept für ein Jahr praktische Erfahrung im sozialen Bereich zu sammeln und mich nicht sofort für einen späteren Beruf festlegen zu müssen, gefiel mir von vornherein, und die Möglichkeit diesen Dienst auch im Ausland zu leisten und dabei noch eine neue Sprache und Kultur kennen zu lernen machten die Sache nochmal interessanter. (Und generell das entwicklungspolitische „weltwärts“ Konzept ist wahnsinnig spannend und es wert sich näher damit zu beschäftigen!)
Mit den Gedanken „Warum eigentlich nicht?“ und „Mir fallen wirklich keine Gegenargumente ein“ fing ich dann im späten Dezember 2013 an mich zu bewerben. Eigentlich viel zu spät, sagen doch die meisten Internetportale, dass man sich spätestens ein Jahr im Voraus bewerben sollte. Mir war das aber relativ Wurst und ich wurde auch recht schnell zu diversen Auswahlwochenenden und Infoveranstaltungen eingeladen.


 Am Ende entschied ich mich für die IJGD (Internationale Jugendgemeinschaftsdienste) als vermittelnde Organisation- die IJGD bestehen aus einem Bundesverein und 13 Landesvereinen, allesamt als gemeinnützig anerkannt und weder kirchlich noch parteipolitisch abhängig. Beworben hatte ich mich hier bei der Geschäftsstelle in Bonn und damit von vorne herein hauptsächlich für einen Freiwilligendienst in Osteuropa. Und zwar aus mehreren Gründen, aber vor allen Dingen weil ich so gut wie gar nichts über einige der angebotenen Länder wusste. Klar, schon irgendwie mal gehört, aber mir wurde recht schnell klar, dass mein Bild dieser Länder zum Großteil auf Stereotypen und schierer Unwissenheit beruhte, und es gibt wohl keinen besseren Weg diese zu überwinden als das Subjekt der Wissenslücken persönlich kennen zu lernen.
Außerdem hatte ich nach meinem Jahr Highschool in Colorado 2011/12 auch das Gefühl, vorerst genug Eindrücke von der westlichen Welt gesammelt zu haben, und mir war schlichtweg danach mal das komplette Gegenteil (nicht nur aus geographischer Sicht) kennen zu lernen.

Soviel also zu Osteuropa - Und warum Belarus?
Das ist die Frage, die sowohl von Deutschen als auch Belarussen mit der gleichen Mischung aus Kuriosität, Perplexität und Verwirrung gefragt wird. Die Antwort darauf ist eigentlich auch recht simpel. Ich habe mich zwar nicht mit Belarus im Hinterkopf für einen Freiwilligendienst im Ausland beworben, aber als ich mich bei dem ersten Infotreffen der IJGD in Bonn im Januar 2014  mit einen Zettel einer Projektbeschreibung der „Belorussian Association of Aid for Handicapped People“ in den Händen wiederfand, gab es eigentlich keinen Zweifel mehr. Das Projekt entsprach genau dem, was ich mir für meinen Freiwilligendienst vorgestellt hatte, und die Tatsache dass ich die Möglichkeit bekommen würde Russisch zu lernen machte die Sache nur noch attraktiver. Ich hab mich also eher für das Projekt als das Land entschieden, wobei ich noch mehr zu dem Projekt sagen werde sobald ich über meinen Arbeitsalltag berichten werde.


Und jetzt einmal die wichtigsten Punkte zum Mitschreiben:


Belarus ist ein Land von dem der Eindruck vermittelt wird, das es Deutschland aus geographischer Sicht recht nah und vom kulturellen Standpunkt Welten entfernt ist. Ein Land über das es genau einen (!) Reiseführer gibt, und das von weltlichen Beobachtern vielzitiert als „letzte Diktatur Europas“ bezeichnet wird. Ich meine wie kann man da nicht neugierig werden?
Ich denke ich werde in meinem Leben noch öfter die Chance haben nach Spanien zu reisen, oder nach Frankreich oder nach England, all die Länder in denen es „sicher schöner wäre, findest du nicht auch Annika?“ – aber die Chance eine einem auf den ersten Blick komplett fremde Welt und Kultur (und im optimalen Fall auch noch dessen Sprache!) kennen zu lernen bekommt man nicht oft. Also wäre ich doch eigentlich schön blöd diese nicht bei der ersten Gelegenheit zu ergreifen, und ich bilde mir ein, genau das mit der Entscheidung zum diesem Freiwilligendienst auch getan zu haben.


Und falls sonst noch irgendwelche Warum-Fragen zu dem Thema existieren, dann kann ja gleich meine bevorzugte Gegenfrage gestellt werden: Warum zum Teufel eigentlich nicht?


Ich hoffe der Post konnte ein wenig Licht auf die Motive hinter meinem Dienst in Belarus werfen, ansonsten sind Fragen natürlich immer gerne willkommen! (Und ich verspreche auch, dass ich versuchen werde mehr als nur „Warum nicht?“ zu antworten)


Bis dahin - hier noch ein Bild von dem Sonnenuntergang über Minsk von vor ein paar Tagen.







- Annika