Donnerstag, 18. September 2014

Kapitel 2: Eine kleine Geschichte der „Sonnenstadt“


Ich weiß nicht so genau wo ich am Besten anfange, denn in den letzten Tagen ist einiges passiert - unter Anderem hat mich mein Internet leider vorerst wieder verlassen  und es ist noch nicht klar wann ich wieder einen Zugang haben werde. Deswegen bin ich mir auch nicht sicher wann ich diesen Eintrag posten kann, aber schreiben wollte ich ihn jetzt trotzdem schon mal. Aber vornweg für die Neugierigen erstmal ein Bild von meinem Zimmer.


„Jetzt“ bedeutet Freitag, der 12. September 2014, 22:49 Osteuropäischer Sommerzeit, und anders als in dem Bild ist es zwar draußen gerade stockdunkel aber ansonsten stimmen die Details- ich sitze mit einer Tasse Tee („Чаи) vor meinem Laptop.

Heute war mein erster Arbeitstag, bzw. die Vorbereitung auf den offiziellen Programmstart am Montag. Die letzten Tage hatte ich ansonsten zum Großteil frei, Vormittags standen nur ein paar Besprechungen auf der Tagesordnung, von daher blieb mir viel Zeit Minsk weiter zu erkunden und mir ein erstes Bild von (zumindest Teilen) der Stadt zu machen.
Minsk lässt sich meiner Meinung nach nur schwer beschreiben. Es ist eine Stadt mit vielen verschiedenen Facetten, und ebenso vielen Kontrasten, was natürlich in direktem Zusammenhang mit der Geschichte der „Sonnenstadt“ steht. Daher folgt nun eine kleine Exkursion, für alle die sich wenigstens ein klein wenig für Geschichte interessieren können.  Der Rest darf die folgenden Absätze getrost überspringen und bis zu den Bildern weiter scrollen.

Wenn auch die Meisten nicht viel über Minsk oder Belarus (oder den Zusammenhang dieser zwei Wörter) wissen, so ist doch den meisten eines bekannt: Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war Minsk fast vollständig zerstört.
Den Anfang bildete dafür der Einmarsch der Nazis im Juni 1941 und die 1100 Tage unter deutscher Herrschaft in denen die Bevölkerung der gnadenlosen Willkür der Nazis ausgesetzt war - Massenhinrichtungen und Verschleppungen standen dabei genauso an der Tagesordnung wie extreme Nahrungsknappheit, da die vorhandenen Ressourcen hauptsächlich an die Besatzungsmacht und deren Heer ging. Als am 3. Juli 1944 Minsk dann schließlich von den Sowjetischen Truppen befreit wurde (der Tag wird heute übrigens noch als nationaler Unabhängigkeitstag zelebriert), war die Stadt aufgrund der andauernden Kämpfe und der Beharrlichkeit der Nazis fast vollständige zerstört - von den Häusern, den Fabriken, den Regierungsgebäuden und der Infrastruktur war nur noch wenig übrig, und die Bevölkerungszahl war von 300.000 zu Beginn des Krieges 1939 auf nicht mehr als ca. 50.000 gesunken.
Nachdem der Vorschlag die Ruinen von Minsk unberührt zu lassen, und die Hauptstadt nach Mogilev zu legen abgelehnt wurde, begann 1945 (gleich nach der endgültigen Niederlage der Nazis) der Prozess des Wiederaufbaus. Der Begriff „Wiederaufbau“ kann hierbei jedoch etwas falsch verstanden werden: Es wurde nicht das rekonstruiert, was vorher einmal dagewesen war (mit der Ausnahme einer kleinen Altstadt, der Старий город,) sondern es entstand eine komplett neue Stadt mit imposanten Gebäuden, extravaganten Boulevards und großen Plätzen – alles in einem pompösen Stil, der synonym mit Stalin wurde. Während diesem Prozess begann die Stadt wieder aufzublühen, mehr und mehr Menschen zogen vom Land in die Stadt und mit dem immer größer werdenden Andrang begannen auch die typischen Hochhäuser, die eine hohe Bevölkerungsdichte erlauben, aus dem Boden zu sprießen.
Mit dem Fall der Sowjetunion war Belarus als junge Nation gezwungen, sich neu zu orientieren (was viele Schwierigkeiten mit sich brachte, auch in Anbetracht der Nachwirkungen der Tschernobyl Katastrophe) – in Minsk wurden viele ehemalige Regierungsgebäude der Sowjetunion beispielsweise zu Botschaften umfunktioniert.
Und auch in Anbetracht der wirtschaftlich instabilen Lage werden viele Bauprojekte in Minsk weiterhin vom Staat finanziert, so zB. eine Erweiterung des Metronetzes, der Wohnungsbau und der Ausbau der Straßen. Oder auch die Erneuerung der Abstempelautomaten für Tickets in Bus und Metro – eine Investition zur Hockey WM die 2014 in Belarus ausgetragen wurde, und die von vielen Einwohner eher mit einem bitteren Lächeln zur Kenntnis genommen wurde.
Fakt ist jedoch, dass Minsk auch weiterhin unangefochtener Mittelpunkt und das Vorzeigeprojekt von Belarus ist, und der Großteil der jungen Bevölkerung früher oder später her ziehen will (auch aufgrund der zahlreichen Universitäten) – und was das für Auswirkungen auf die Dörfer und die Landwirtschaft hat kann man sich wahrscheinlich auch gut vorstellen

Soviel jedoch vorerst zur Geschichte von Minsk. Die Details zur Geschichte habe ich hauptsächlich aus meinem englischsprachigen Reiseführer zu Belarus bezogen, dem einzigen den es momentan gibt. Bei Interesse kann also da noch weitergelesen werden. 
 Und zum Abschluss dieses kleinen Ausflugs in die jüngere Vergangenheit der „Sonnenstadt“ noch ein Zitat von Artur Klinau, in dem die Ästhetik und die Idee der Stadt recht gut zusammengefasst wird:

Wenn die kommunistische Utopie ein Projekt zur Errichtung des allgemeinen Glücks war, dann musste die ideale Stadt die ‚Ästhetik des Glücks erschaffen, deren Ausgestaltung davon abhing, wie sich die Erbauer dieser Utopie das Glück vorstellten. Die Traumästhetik des Arbeiter- und Bauernstaats war mit den Dingen verbunden, deren die unterdrückten Klassen zuvor beraubt gewesen waren: mit den Träumen von einem schönen, reichen Leben. Der Mensch der kommunistischen Zukunft sollte nicht in armseligen Hütten und Plattenbauten leben, sondern in prächtigen Palästen von den schönsten Parks mit Brunnen und Skulpturen umgeben. Zwischen den Palästen sollten breite Alleen verlaufen, umspielt von exotischen Blumen und dem Grün der Bäume. An den wichtigsten Orten der Sonnenstadt mussten sich majestätische Plätze befinden, auf denen sich die glücklichen Einwohner zu fröhlichen Festen und Massenparaden versammeln.“

 (Artur Klinau, „Minsk- Sonnenstadt der Träume“, Suhrkamp 2006)

Und genau so ist es auch. Jedenfalls auf den ersten Blick.

















Auf den zweiten Blick kann es dann auch schon wieder ganz anders aussehen.





Wobei natürlich auch diese Seite Minsk seine eigene Schönheit hat.









 Aber wie gesagt: Kontraste.































Soviel jedenfalls dazu. 



Meine Wohnung liegt, wie bereits erwähnt, relativ am Rand von Minsk, mit einem wunderschönen Wald in der Nähe den ich während meiner morgendlichen Joggingrunden auch schon näher erkunden konnte. Zu Fuß findet man sowieso eigentlich immer die schönsten Plätze- auch wenn diese nicht inzwischen der Prunkbauten der Innenstadt liegen.





Und damit habe ich eigentlich auch wieder viel zu viel geschrieben. Es ist jetzt 0:24, und ich hoffe sehr, dass ich bald wieder Internet habe damit dieses Monstrum an Post auch seinen Sinn erfüllen kann.
Mein nächster Eintrag wird dann wahrscheinlich zu meiner Arbeitsstelle sein-
Bis dahin!

-Annika 


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